Harnverhaltung

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Zu einem Harnverhalt (Synonyme: Harnverhaltung, Harnretention, Ischurie) kommt es, wenn die Blase willentlich oder auch reflektorisch nicht entleert werden kann, obwohl die Blase vollständig gefüllt ist. Der Betroffene verspürt zumeist den Drang zur Harnentleerung, kann aber die Blase nicht entleeren. Wenn die Blase maximal gefüllt ist, wird die Verschlußkraft des Blasenschließmuskels überwunden, als Folge davon kommt es zum sogenannten Harnträufeln.

Formen und Symptome[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Akuter Harnverhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei akutem Harnverhalt besteht ein schmerzhafter Harndrang bei Anurie, die Blase ist deutlich tastbar. In manchen Fällen ist sie äußerlich sichtbar als Schwellung zu erkennen. Da es bei akutem Verhalt durch den Rückstau des Urins zu Nierenschäden kommen kann, ist eine sofortige ärztliche Abklärung und gegebenenfalls eine unverzügliche Katheterisierung nötig.

Chronischer Harnverhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein chronischer Harnverhalt ist meist schmerzlos. Er geht einher mit Hydroureter, Hydronephrose und Erhöhung der harnpflichtigen Substanzen. Infolge einer lang anhaltenden Überdehnung entstehen myogene Schädigungen mit Restharnbildung und später daraus resultierende Überlaufinkontinenz. Bei bestehender Druckschädigung der tubulären Nierenfunktion kommt es nach der Entlastung häufig zu einer polyurischen Phase mit einer Urinausscheidung von bis zu 6 Litern am Tag.

Ursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Ursache für einen akuten Harnverhalt ist häufig eine mechanische Harnabflussbehinderung, bei der die Harnröhre verstopft oder stark verengt ist, beispielsweise durch Prostatavergrößerung, Steine, Verletzung oder Tumore. Ein neurogen bedingter Harnverhalt kann beispielsweise bei einem Bandscheibenvorfall oder auch bei Multipler Sklerose (MS) auftreten. Als psychogene Ursachen gelten Scham und Angst, beispielsweise bei Menschen, die als Kind eine sehr strenge Sauberkeitserziehung und eventuell damit verbundene Gewalt erfahren haben.

Postoperativer Harnverhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach einer Spinalanästhesie, wie sie z.B. bei bestimmten Operationen oder Kaiserschnittgeburten vorgenommen wird, kann es zu Harnverhalt kommen, der mehrere Stunden anhalten kann. In der Regel verschwindet die Harnverhaltung von selbst, wenn sich der Patient im Bett aufrichtet oder ein paar Schritte geht.

Harnverhalt durch Medikamente[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Durch die Gabe von Anticholinergika wie Amitriptylin, Haloperidol oder verschiedene Antihistaminika kann ein Harnverhalt herbeigeführt werden. Auch andere Medikamente, wie z.B. 1,4-Benzodiazepin-Derivate (Diazepam®), verschiedene Opioide, Antiepileptika, Diuretika, Calciumantagonisten und Muskelrelaxanzien können als Nebenwirkung einen Harnverhalt verursachen.

Hier ist die Notwendigkeit des verursachenden Medikamentes einzuschätzen. Kann das Medikament nicht abgesetzt werden, ist eventuell eine Dosisreduzierung möglich.

Behandlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Sofortmaßnahme wird in der Regel transurethral ein Katheter mit der Kathetergröße Ch 16 gelegt, dünnere Katheter vermögen wegen ungenügender Stabilität den Beckenboden bzw. die prostatische Harnröhre (insbesondere bei Obstruktion) nicht zu überwinden. Kann transurethral kein Katheter eingeführt werden oder besteht der Verdacht auf einen entzündlichen Prozess oder eine Harnröhrenverletzung, ist eine suprapubische Harnableitung indiziert.

Bei Urinmengen über 600 ml ist ein fraktioniertes Ablassen des Urins zur Vermeidung einer Blutung der Blasenschleimhaut über einen Dauerkatheter notwendig. Der Dauerkatheter bleibt für 1–3 Tage zur Dauerableitung liegen, danach erfolgt ein Katheterauslassversuch und Rest- harnkontrolle. Bei erneuter Harnverhaltung oder deutlich erhöhten Restharnmengen über 100 ml erfolgt eine weitere Dauerkatheterableitung oder eine suprapubische Harnableitung, z.B. mit Cystofix®.

Hat ein Patient 6 Stunden nach einer Spinalanästhesie trotz gefüllter Harnblase keinen Spontanurin gelassen (postoperative Harnverhaltung), kann durch Gabe eines Cholinergikums, z.B. mit dem Wirkstoff Carbachol (Doryl®) (1 Amp. = 1 ml = 0,25 mg i.m.) eine Miktion induziert werden. Wenn trotz der Gabe des Cholinergikums keine Miktion erfolgt, so muss die Blase mittels Einmalkatheterismus entleert werden.

Bei einem durch Medikamente verursachten Harnverhalt wird, nach der eventuell notwendigen Katheterisierung, das entsprechende Medikament möglichst abgesetzt oder reduziert. Eine andere Methode ist die Gabe von Distigminbromid (Ubretid®; 5 mg/d).[1]

Ein Harnverhalt bei Kindern kann ggf. dadurch beseitigt werden, wenn das Kind in eine mit warmem Wasser gefüllten Badewanne gesetzt wird. Wenn durch diesen Versuch keine Spontanmiktion erfolgt, so muss die Blase mit einem 6–9 Ch-Einmalkatheter entleert werden.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. C. Bausewein, S. Roller: Harnverhalt. In: Leitfaden Palliative Care - Palliativmedizin und Hospizbetreuung. Hrsg. R. Voltz, S. Roller, C. Bausewein; Urban & Fischer in Elsevier 2010, S. 341 ISBN 978-3-437-23312-8

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Links[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]