Anthroposophische Pflege

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Anthroposophische Pflege ist ein bedeutender Zweig der beruflichen Pflege in Deutschland. In neun Kliniken und einer Reihe von Heimen und Sozialstationen gehört sie zum Regelangebot des Trägers. Und auch außerhalb anthroposophischer Einrichtungen arbeiten zertifizierte[1] Expertinnen für Anthroposophische Pflege. Grundlage ist die allgemeine Gesundheits- und Kranken- bzw. Kinderkranken- oder Altenpflege. Diese werden komplementär erweitert durch Aspekte und Techniken auf der Basis des anthroposophischen Menschenbildes[2]. Pflegende verabreichen Wickel und Auflagen, führen Rhythmische Einreibungen nach Wegman/Hauschka und therapeutische Waschungen durch, verstehen sich als Schicksalsbegleiter bei gesundheitlichen Krisen, chronischen Krankheitsverläufen und im Sterbeprozess. Anthroposophische Pflege leistet körperliche Versorgung, seelischen Beistand und bezieht die spirituelle Dimension konsequent in ihre Arbeit mit ein. Dazu gehört auch die Berücksichtigung der Möglichkeit wiederholter Erdenleben, was dem Sinn von Leben und Krankheit neue Dimensionen verleiht. Grundlage ist die Anthroposophie Rudolf Steiners. Hierbei handelt es sich allerdings keineswegs um ein Rezeptbuch, sondern um eine unüberschaubare Quelle an Hinweisen, wie Probleme gedacht und individuelle Lösungen gefunden werden können.

Was ist Anthroposophie?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf diese Frage gibt es so viele gleichermaßen verschiedene wie legitime Antworten, wie es Menschen gibt, die sich ernsthaft mit der Anthroposophie auseinandersetzen. Für die einen ist sie eine Weltanschauung, an der sie ihre Lebensführung ausrichten (betr. z. B. die Verwendung der Produkte aus biodynamischer Landwirtschaft), für andere eine menschengemäße Art, Kinder auf das Leben vorzubereiten (Waldorfpädagogik) oder Menschen zu heilen (anthroposophische Medizin).

Der besondere Wert der Anthroposophie für die Pflege ist darin zu sehen, dass sie eine Fülle an Konzepten über das Wesen des Menschen zur Verfügung stellt, die ein verändertes pflegerisches Handeln anleiten können. Begründet durch Rudolf Steiner hat die Anthroposophie ihre erkenntnistheoretische Fundierung bereits Ende des 19. Jahrhunderts und die Ausarbeitung einer sehr differenzierten geisteswissenschaftlichen Anthropologie im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts erfahren[3][4][5].

Geschichtlicher Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rudolf Steiner ist der Gründer der Anthroposophie. Die Gründung des "Klinisch therapeutischen Institutes" im Jahre 1921 in Arlesheim durch Ita Wegman gab den ersten pflegerischen Impuls innerhalb der anthroposophisch medizinischen Bewegung. Im Wesentlichen haben sich drei Themengebiete über die letzten Jahrzehnte in der Anthroposophischen Altenpflege behauptet: die Frage nach dem Wesen und den Ursachen der Launen, die Beschäftigung mit dem Tierkreis und den Planeten sowie die vier Elemente im Zusammenhang mit der Weltentwicklung mit Fokus auf pflegerische Handlungen. Einen wichtigen Aufschwung nahm die anthroposophisch-pflegerische Bewegung mit der Gründung der anthroposophischen Kliniken in den 70-iger Jahren in Deutschland. Der Impuls dieser Gründungen, sich direkt in den Strom der modernen naturwissenschaftlichen Medizin zu stellen und diese zu erweitern, hatten das Ziel ein ganzheitliches Pflegemodell mit anthroposophischen Ansatzpunkten zu entwickeln. Ein großes Gebiet in diesem Zusammenhang war die Sterbebegleitung. Anthroposophische Pflege hat sich in den letzten Jahrzehnten an zahlreichen Orten der Welt verbreitet. Seit 2000 arbeiten im Internationalen Forum für Anthroposophische Pflege ca. 54 Vertreter der Pflegenden aus allen fünf Kontinenten zusammen. Von hier aus werden alle zwei Jahre internationale Pflege- und Hochschultagungen am Goetheanum organisiert und Gesichtspunkte für die Fort- und Weiterbildung der Pflege erarbeitet. In diesem Kreis sind auch Repräsentanten nationaler Berufsverbände für Anthroposophische Pflege vertreten.

Funktionelle Dreigliederung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein wichtiges theoretisches Konzept ist die „funktionelle Dreigliederung“. Hiermit wird die Unterscheidung dreier Systeme bezeichnet, die dem physischen Körper übergeordnet seine physiologischen Aktivitäten ermöglichen. Es soll hier exemplarisch vorgestellt werden.

Nerven-Sinnes-System[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zunächst sei das Nerven-Sinnes-System (NSS) benannt, welches im menschlichen Kopf und Rückenmark seine Entsprechung hat. Der Stoffwechsel ist hier stark zurück gedrängt. Nervenzellen sind von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht mehr reproduktionsfähig. Sie sind auch nicht produktiv wie Drüsen- oder Hormonzellen; auch verfügen sie über keinerlei Beweglichkeit wie Immun- oder Muskelzellen. Ihre Signatur ist gewissermaßen: Ruhe. Eingebettet in Schädel und Rückenmark und gepolstert durch Liquor sind sie vom „Getriebe“ des übrigen Organismus abgeschirmt. Bewusstsein erfordert Ruhe. Der Stoffwechsel ist im zentralen Nervensystem bis auf ein Minimum herunter gefahren und nichts bewegt sich. Wie wichtig das ist, lässt sich leicht selbst erforschen: Man versuche einmal kontinuierlich den Kopf zu schütteln und gleichzeitig 7 x 83 zu rechnen; eine große Herausforderung. Im NSS ist der Mensch am wenigsten in seinem Leib. Über die Sinne die Umwelt wahrnehmend, über das Gehirn denkend, reflektierend und erinnernd, steht hier die Umwelt im Fokus.

Stoffwechsel-Gliedmaßen-System[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wie anders geht es hingegen im Bewegungsapparat zu. Selbst bei äußerlicher Ruhe z.B. im Sitzen sorgen fein abgestimmte Halte- und Stellreflexe in der gesamten Skelettmuskulatur dafür, dass diese Ruhe auch aufrecht erhalten bleibt. Und auch die menschlichen Knochen, einen scheinbar statischen Eindruck vermittelnd, strotzen vor Leben: Ständig finden Umbauprozesse statt; der Kauf eines neuen Paar Schuhe erzeugt im Lauf der folgenden Wochen und Monate einen umfassenden Umbau von Fußknochen, Wadenbein, Schienbein, Oberschenkelknochen und Becken um der durch die neuen Sohlen leicht veränderten Statik Rechnung zu tragen.

Auch im Verdauungstrakt herrscht nie Ruhe. Sekretion, Resorption und Motilität von Magen, Dünn-, und Dickdarm geschehen Tag und Nacht. Und alles passiert völlig unbewusst. Bewusstsein tritt erst unter pathologischen Bedingungen auf, z.B. in Form einer Kolik. Dieser Bereich wird als Stoffwechsel-Gliedmaßen-System (SGS) bezeichnet. Hier wirken stets wiederkehrende rhythmische Prozesse.

Rhythmisches System[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausgleichend eingeschaltet zwischen diese Pole ist das Rhythmische System (RhS). Mit Puls und Atmung verfügt der Organismus über sehr sensible Instrumente um die Stoffwechsel-Gliedmaßen-Prozesse mit den Sinnes-Nervenprozessen zu synchronisieren. Herz-Kreislauf- und Respirationssystem sind Organsysteme der Mitte. Ihre Arbeitsweise ist rhythmisch: Ein- und Ausatmung; Systole und Diastole. Und sie sind konkurrenzlos flexibel: Das Herzminutenvolumen kann, je nach Anforderung, zwischen 5 und 25 Litern und das Atemminutenvolumen zwischen 8 und 24 Litern reguliert werden. Bis in die Anatomie nimmt das RhS diese Mittelstellung ein: Der Brustkorb verfügt mit seinen röhrenförmigen Rippen und den Interkostalmuskeln einerseits über ein Gliedmaßenäquivalent. Er bildet aber mit ihnen zugleich auch einen Hohlraum: Zum Schädel hin relativ statisch und geschlossen, im Brustwirbelbereich relativ beweglich, endet er zum Bauchraum hin völlig offen; die letzten Rippen enden unverbunden frei in den Leibesflanken[6]. Wie die gesamte Physiologie über rhythmische Prozesse gesteuert wird, ist inzwischen empirisch gut belegt[7]. Lebens- und Heilungsprozesse verlaufen immer rhythmisch. Ein einfacher Schnupfen dauert eine Woche und es wechseln Phasen der starken Sekretion mit solchen einer Stase („verstopfte Nase“). Dieser rhythmische Bereich schafft auch die Verbindung zwischen Psyche und Soma. Er ist die organische Grundlage der Gefühle. Ein Schreck kann den Puls stocken lassen, wir halten die Luft an; Erleichterung lässt tief ausatmen; Freude färbt unsere Wangen rot und Aufregung treibt den Puls in die Höhe.

Sind die Kompensationskräfte des Rhythmischen Systems erschöpft oder nehmen die Kräfte des NSS (Formpol) oder des SGS (Stoffpol) einseitig überhand, kommt es zu Krankheit. Die kann verhärtend (NNS; z.B. Arteriosklerose oder Polyarthritis) oder entzündlich/auflösend sein (SGS; z.B. akute Lungenentzündung). Überwiegt beispielsweise der Stoffwechselpol mit seinen auflösenden Kräften, sind Heilmittel mit ausgeprägten Formkräften angezeigt (z.B. Ackerschachtelhalm bei einer Nierenbeckenentzündung oder Zitrone gegen eine Halsentzündung), überwiegen die Formprozesse kommt z.B. Wärme zur Anwendung (z.B. als Eukalyptusölblasenkompresse bei postoperativem Harnverhalt). Wärme ist ein zentrales Konzept in der Anthroposophischen Pflege. Wie Wärme als Indikator für Heilungsprozesse in der empirischen Forschung genutzt werden kann, zeigt Buchholz im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an einer interdisziplinären Studie zur Evaluation der Anthroposophischen Medizin bei Patienten mit Polyarthritis[8]. Sie verabreichte den Patienten Öldispersionsbäder und Rhythmische Einreibungen nach Wegman/Hauschka sowie Wickel. Auch entwickelte sie ein Dokumentationssystem zur Erfassung der peripheren Körpertemperatur. Sie konnte zeigen, dass diese Patientengruppe unter einem Wärmemangel leidet. Eine subjektiv und objektiv nachvollziehbare Durchwärmung infolge der Therapien führte hier zu einer Verbesserung der Befindlichkeit und der Beweglichkeit.

Bedeutend ist, dass das Konzept Wärme hier umfassend verstanden wurde: Neben der physischen wurde auch die seelisch/geistige Wärme in die Beobachtung mit einbezogen. Bei allen Patienten zeigten sich seelische Traumatisierungen – meist in der Kindheit. Ihr ganzer Habitus wirkte infolgedessen wie „eingefroren“. Durch die Behandlung fühlten Patienten sich „aufgetaut“. Der Bewegungsapparat entspannte, Gefühle wurden (neu) bewusst; sie fingen wieder an zu träumen u.a. Eine Patientin kleidete diese veränderte Selbstwahrnehmung in die Worte: „Ich habe das Gefühl, jetzt bin ich wieder bei Sinnen.“ (a.a.O, S. 178)

Die vier Elemente[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das anthroposophische Menschenbild geht davon aus, dass wir als menschliche Wesen die Fähigkeit besitzen, zu erkranken. Die anthroposophische Medizin ist der Meinung, dass zwei Arten von Erkrankungen sich die Waagschale halten. Zum einen sind dies die entzündlichen, hochfieberhaften Erkrankungen und zum anderen gibt es die verhärtenden (sklerosierenden) Erkrankungen. Rudolf Steiner leitete daraus ab, dass eine Erkrankung durch die andere „geheilt“ werden könnte. Die Pflege von Menschen bezieht sich deshalb immer auf ein bestimmtes Verständnis oder Verhältnis des individuellen Menschen zur Natur, Kultur und derzeitigen Gesellschaft. Diese Art von Menschenbild hat einen Einfluss auf die Pflegepraxis von pflegebedürftigen Menschen. Durch die Ausarbeitung der vier Wesensglieder des Menschen versuchte Steiner sein Menschenbild zu vervollkommnen und seine Art Wegweiser für die Medizin und Pflege zu entwickeln. Es gilt durch die Einordnung jedes Menschen in seine Wesensglieder die optimale Pflege für diesen Patienten zu garantieren (Vgl. Verband für anthroposophische Pflege e.V.).

  • Der Physische Leib ist eines der vier Wesensglieder. Teilt man den Menschen durch physikalische und chemische Methoden auf, so erhält man eine stoffliche Analyse des menschlichen Körpers.
  • Als Ätherleib wird auch als die Lebensorganisation bezeichnet. Im Mittelpunkt dieses Wesens steht das Leben eines menschlichen Körpers, d.h. alle Prozesse innerhalb eines Organismus. Darunter sind zu fassen Prozesse wie der Stoffwechsel, das Wachstum und die Fortpflanzung.
  • Das dritte Wesensglied ist der Astralleib. Synonym dazu kann die Begriffskonzeption Seele genannt werden. Hierbei hat Rudolf Steiner auf die Empfindungen des Menschen oder Tier geschaut, die sich ihm als Reaktion auf Reize offenbart haben.
  • Das vierte und letzte Wesensglied ist das Ich oder der geistige Wesenskern. Rudolf Steiner geht davon aus, dass sich der Mensch durch sich selbst definiert. Das Selbstbewusstsein spielt dabei eine große Rolle. In ihr stellt sich der Mensch der Welt als Subjekt entgegen (Vgl. Heine, 2001: S. 29ff.).

Die Konzeption der vier Wesensglieder und ihre Elemente entnimmt Steiner der alten griechischen Medizin und seinem Vorbild Johann Wolfgang von Goethe. Dabei sieht die anthroposophische Menschenkunde die vier Elemente als Vermittler zwischen dem Ich, dem Astralleib und dem Ätherleib als nicht-stoffliche Wesensglieder versus das stoffliche Wesensglied, dem Physischen Leib. Angeblich stehen die Menschen über ihre Elemente, die sie in sich tragen, mit der Natur in Verbindung. Wenn ein Wesensglied besonders dominant ausgeprägt ist, dann besitzt dieser Mensch ein spezifisches Temperament.

  • Das Wesensglied Ich birgt das Element Wärme, das Naturreich Mensch und bildet in ausgeprägter Form den Choleriker.
  • Das Astralleib hat das Element Luft und den Besitz der Tiere. In ausgeprägter Form bildet sich der Sanguiniker.
  • Das Ätherleib hingegen gehört dem Element Wasser an und im Naturreich der Pflanze. Der Phlegmatiker ist hier das Temperament.
  • Das Physische Leib verbindet das Element der Erde mit den Naturreich das Mineralreiches. Die dominanteste Form ist der Melancholiker (Vgl. Verband für anthroposophische Pflege e.V.).

Den vier Elementen wird in der Anthroposophischen Altenpflege besondere Beachtung geschenkt, weil durch sie eine Wirkung auf die Wesensglieder des Menschen erzielt werden kann und demzufolge auch die Behandlung von Patienten oder zu Pflegende ausnutzt wird. Dabei gibt es dem Wesensglied entsprechend und dem dazugehörigen Element eine zugeordnete Kategorie, die sich positiv auf den Heilungsprozess bzw. Behandlung oder Pflege auswirkt. Dabei handelt es sich um:

  • Ich – Wärmeanwendungen (Kleidung, Raumtemperatur)
  • Astralleib – Luftanwendungen (Druck und Sog)
  • Ätherleib – Wasseranwendungen (Reinigung, Rhythmisches Einreiben)
  • Physisches Leib – Erdanwendungen (Heilerde, Salze)(Vgl. Verband für anthroposophische Pflege e.V.)

Die zwölf pflegerischen Gesten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die zwölf pflegerischen Gesten sind abgeleitet aus den zwölf Sinnen Rudolf Steiners. Die Anthroposophische Altenpflege stellt sich die Fragen: Was Pflege überhaupt ist, was sie sein kann und welche Rolle dabei das Pflegepersonal und die Patienten spielen? All diese Aspekte werden unter der pflegerischen Geste zusammengefasst. Dabei versteht die Anthroposophische Altenpflege die Pflege als: „einen äußeren, handwerklich-technischen, einen operational-vermittelnden, einen emotional-atmosphärischen und einen intentional-sinngebenden Aspekt [jeder Handlung]. Das Integral dieser Aspekte ist die pflegerische Geste.“ Die pflegerische Geste bezieht sich nicht nur auf Pflegepersonal, sondern auch Eltern, die ihre Kinder erziehen und im Alltag sowie bei Krankheit pflegen (Vgl. Heine, 2001: S. 24).

In der Anthroposophischen Altenpflege werden die pflegerischen Verrichtungen doppelseitig betrachtet. Einerseits sind wahrnehmbare Handlungen beobachtbar. Darunter sind Tätigkeiten wie zum Beispiel Waschen, Ankleiden oder Essen reichen zu verstehen. Andererseits sind aber auch „nicht-wahrnehmbare“ Handlungen in der Pflegepraxis vorhanden, wie z.B. Empathie oder Geduld. Diese Art der Pfleghandlungen bildet sich am pflegebedürftigen Menschen aus und können während der Arbeit erlernt werden. In der unsichtbaren inneren Haltung drückt sich laut Anthroposophischer Altenpflege das Wesentliche der Pflege aus und gibt sich empört, wenn gerade diese Seite des Pflegens nicht gesehen und anerkannt wird. Zwischen der Pflegehandlung und der inneren Haltung, in der die Pflegeverrichtung ausgeführt wird, steht die pflegerische Geste. In ihr kommt das "Wie" einer Pflegehandlung zur Erscheinung. Im Folgenden sollen die zwölf pflegerischen Gesten kurz aufgelistet werden (Vgl. Heine, 2001: S. 24ff).

  1. Hüllen oder Behüten gilt als die ursprüngliche pflegerische Geste. Sie ist in unzähligen Pflegehandlungen wie z. B. beim Bekleiden, beim Zudecken, beim in den Arm nehmen, aber auch bei äußeren Anwendungen auffindbar. Innerhalb dieser hüllenden Gebärde kann der Patient sich geborgen fühlen.
  2. Als Geste umfasst das Aufrichten weit mehr als die bloße körperliche Aufrichtung. In der Anthroposophischen Altenpflege kann ebenso aufrichten aus der Sicht des zu Pflegenden (ihn in eine aufrechte Gestalt bringen) oder der Gemühtszustand des zu Pflegenden gemeint sein. Eine aufrichtende Geste gilt als angebracht, wenn dem Patienten geholfen werden soll sich selbst zwischen Erde und Himmel zu stellen. D.h., dass der Patient sich bewusst der Welt gegenüberstellt.
  3. Am Patienten, dem durch Krankheit oder Behinderung die Kräfte fehlen, sich selbst zu versorgen ist die Geste des Entlastens elementar. Der Patient soll von allen Tätigkeiten, die ihm Kräfte für den Heilungsvorgang entziehen, befreit werden.
  4. In der Aktivierung oder der Mobilisation zeigt sich die Geste des Belastens. Dem Patienten soll nur soviel zugemutet werden, dass entkräftete Fähigkeiten wieder ergriffen werden können oder sich neue Fähigkeiten bilden.
  5. Die Geste des Ausgleichen/Harmonisieren gilt als eine der Elementarsten. Es heißt in der Pflege das Gleichgewicht zwischen Einseitigkeiten, zwischen Schlafen und Wachen, Bewegung und Ruhe, Verdichtung und Lösung herzustellen. Ziel ist es die Innenwelt und die Außenwelt in ein korrektes Verhältnis zu bringen. Diese Geste stellt dabei die Innenwelt dar.
  6. Eine tägliche Verrichtung der Pflegenden ist das Reinigen der Patienten. Durch das Waschen des Körpers wird die Außenwelt „behandelt“. In der Reinigung wird das Wesentliche vom Unwesentlichen getrennt. Dabei wird der Schmutz am Körper des Patienten voneinander getrennt. Das Wesen des menschlichen Körpers kann danach in Erscheinung treten. Hierbei ist auch eine weitere eng verbundene Geste des Hervorkehrens des Wesens genannt, denn der gereinigte Gegenstand tritt "herausgeputzt" hervor.
  7. Zu Beginn einer Aufnahme in einem Alten- und Seniorenwohnheim steht die Zuordnung des Bewohners zu einem Raum. Damit ist die Geste der Schaffung eines Raumes gemeint. Hierbei sind vom Personal Vorbereitung zu treffen, wie z.B. das Herrichten des Bettes und geeigneter Ablagemöglichkeiten, die Sorge für Licht und Luft im Raum etc. Auch das tägliche Aufräumen und Ordnen fällt in diesen Bereich, damit bezieht sich diese Geste mehr auf das Umfeld des zu Pflegenden.
  8. Die folgenden Gesten stehen wieder wechselseitig gegenüber. Zum einen soll das Personal den Patienten von jeglichen Gefährdungen abzuwehren. Er soll gegen Krankheiten und Schädigungen verteidigt werden. Gegenteilig gelten Schutzmaßnahmen wie der Gebrauch von Schutzkleidung, Schutzhandschuhen, und Mundschutz, die Wunddesinfektion etc. als Geste des Abwehrens. Dazu gehören auch Aufgaben wie der Schutz der Mittagsruhe oder der Privatsphäre des Patienten vor Störungen aller Art.
  9. Selbstverständlich ist auch das Ernähren/Versorgen eine tägliche Aufgabe und Geste des Pflegepersonals.
  10. Das Personal kann den zu Pflegenden auch Anregen oder Reizen. Dabei wird von außen ein Impuls gesetzt, der eine bestimmte Resonanz in Anspruch nehmen soll. Die Durchführung einer kalten Waschung oder eines Senfwickels sind in diesem Sinne genannte Beispiele.
  11. Eine besondere Steigerung des Anregens ist das Erwecken. Diese Geste wird gebraucht, um den Patienten aus dem leiblichen Schlaf aufzuwecken oder beim Bewusstmachen von Gewohnheiten.
  12. Als Grundlage für die Beziehung zwischen Pflegendem und Pflegebedürftigem erscheint die Geste des Bestätigens. Es geht dabei um die gegenseitige Wertschätzung. Es wird eine Grundlage des Vertrauens geschaffen, die der Patienten den Pflegenden entgegenbringen.

Die hier charakterisierten pflegerischen Gesten beschreiben keine Tätigkeitsfelder der Pflege, denn nicht das "Was" sondern das "Wie" der Pflege soll in den zwölf Gesten zum Ausdruck kommen. Jede einzelne Pflegetätigkeit kann unter mehreren verschiedenen Aspekten der Gesten interpretiert werden. Im Mittelpunkt steht immer der zu Pflegende, um ihn herum stehen die Gesten, die je nach Art der Behandlung und dem Ziel ausgesucht werden. Hierzu ordnete Rudolf Steiner die Tierkreiszeichen. Sie bilden die „innere Qualität“ der pflegerischen Gesten ab (Vgl. Heine, 2007: S. 30ff).

Bildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

An zwei Kliniken Deutschlands kann die Gesundheits- und Krankenpflege, an zwei Altenheimen die Altenpflege auf anthroposophischer Basis erlernt werden[9]. Darüber hinaus existiert ein ausgedehntes Fortbildungswesen für Grund- und Expertenkurse für Anthroposophische Pflege sowie an speziellen Kursen z.B. für Äußere Anwendungen, Rhythmische Einreibungen nach Wegman/Hauschka, Begleitung Sterbender Menschen, Versorgung an Demenz erkrankter Menschen u.a6. Zum Teil sind diese Kurse bereits akkreditiert am International Forum for Anthroposophic Nursing, Dornach, CH. Sie stehen allen Interessierten Pflegenden offen.

Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt weltweit zwei Alten- und zwei Krankenpflegeschulen, die auf anthroposophischer Grundlage arbeiten. Es handelt sich um eine dreijährige Ausbildung, die mit dem staatlichen Examen abschließt. Pflege wird hier aus anthroposophischer Perspektive konzeptionell und im Unterricht methodisch-didaktisch aufgearbeitet betrachtet und vermittelt. Es werden alle Inhalte der klassischen Ausbildung der Kranken- und Altenpflege vermittelt, sowie zusätzlich alle speziellen Inhalte der Anthroposophischen Kranken- und Altenpflege (Vgl. Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland e.V.).

Anthroposophische Altenpflege in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland haben sich 24 anthroposophische orientierte Altenheime im Nikodemuswerk zusammengeschlossen. Des Weiteren bestehen in Holland und der Schweiz Altenheime mit anthroposophischem Hintergrund. Anthroposophische Pflege betrachtet das Altern als einen natürlichen Entwicklungsschritt, der für den gesunden alten Menschen verbunden ist mit einer Bewusstseinsweitung. Sie setzt dem defektorientierten Bild, das sich die junge Gesellschaft vom Leben im Alter gemacht hat, ein entwicklungsorientiertes Bild entgegen, ohne die Einschränkungen in der körperlichen Beweglichkeit, in der Sinnesaktivität, durch Alterserkrankungen, durch dementielle Erkrankungen und soziale Desintegration aus dem Blickfeld zu verlieren. Diese Nöte bedürfen der verständnisvollen Hilfestellung und Behandlung.

Fort- und Weiterbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fort- und Weiterbildungen setzen voraus, dass zuvor eine Ausbildung in einer anthroposophisch orientierten oder in einer anderen Pflegeeinrichtung absolviert worden ist. Während der Fort- und Weiterbildung wird die Mitarbeit in einem anthroposophisch orientierten Krankenhaus, Pflegeheim oder ähnlichem empfohlen, denn in den Moduleinheiten werden die theoretischen Kenntnisse erlernt. Die praktischen Fähigkeiten sollen in der Regel am Arbeitsplatz erfolgen. In vielen Einrichtungen werden hausinterne Schulungen angeboten(Vgl. Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland e.V.).

Einführungs-, Fortbildungs- und Grundkurse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einführungskurse sollen einen Überblick über Verständnisgrundlagen und Methoden anthroposophischer Pflege geben. Auch Teilgebiete, wie z.B. das Rhythmische Einreibungen nach Ita Wegman bilden Schulungsinhalte. Diese Kurse haben orientierenden Charakter oder vermitteln Handlungskompetenz nur in kleinen Teilbereichen. Hingegen Fortbildungskurse über kleine Teilbereiche hinaus bilden sollen und dabei eine Grundlage entsteht, die für eigenständige Übungen und Vertiefungen nötig sind. In den Grundkursen für die Anthroposophische Pflege werden zudem Grundlagen in der Anthroposophischen Medizin vermittelt. Die Kurse müssen mindestens 180 Stunden ableisten (Vgl. Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland e.V.).

Forschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 80er Jahren, vor der Etablierung akademischer Ressourcen in Deutschland, führten Pflegende an der Filderklinik bei Stuttgart bereits eine praxisintegrierte Studie zum Vergleich der Wirksamkeit von Ingwer-Brust-Wickeln mit Senf-Brust-wickeln durch[10]. Inzwischen sind mehrere akademische Qualifizierungsarbeiten in diesem Kontext entstanden. Hierzu zählen die Dissertationen von Tessa Therkleson, Neuseeland, über den Einsatz von Ingwer bei Menschen mit Poliarthritis[11] und von Mathias Bertram, Deutschland, zur Wirksamkeit der Rhythmischen Einreibungen nach Wegman/Hauschka[12]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. http://www.qualitaet-ap.org/zertifizierung-in-anthroposophischer-pflege-159-de.html
  2. Heine, R.; Bay, F.: Anthroposophische. Pflegepraxis. Pflege als Gestaltungsaufgabe. 2. Aufl. Stuttgart:2003.
  3. Steiner, R.: Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung. Ort, 1886.
  4. Steiner, R.: Theosophie. Ort, 1904.
  5. Heusser, P.: Anthroposophische Medizin und Wissenschaft. Stuttgart, 2011.
  6. Vogel, L.: Der dreigliedrige Mensch. 4. Aufl. Dornach, 2005.
  7. Cysarz, D.: Analyse rhythmischer Strukturen in Biosignalen. http://www.rhythmen.de/
  8. Buchholz, G. (2006): Krankenkpflege – Das Erleben von Berührung und Wärme. In: BÜSSING Ostermann, T., Glöckler, M., Matthissen, P.F. (Hrsg.): Spiritualität, Krankheit und Heilung – Bedeutung und Ausdrucksformen der Spiritualität in der Medizin. Frankfurt am Main, VAS, S. 163-182
  9. Vergl. http://www.vfap.de
  10. Dinkelacker, C.; Heine, R. u.a. (o.J.): Praxisintegrierte Studie zur Darstellung der Frühwirkungen von Ingwer (Zingiberis Officinalis) als äußere Anwendung. Filderstadt-Bonlanden, Filderklinik, als Manuskript gedruckt.
  11. Therkleson, T. (2010): Ginger compress therapy for adults with osteoarthritis. In: Journal of Advanced Nursing 66 (10), S. 2225–2233.
  12. Bertram, M. (2005): Der Therapeutische Prozess als Dialog. Strukturphänomenologische Untersuchung der Rhythmischen Einreibungen nach Wegman, Hauschka. 1. Aufl. Berlin: Pro Business.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bahlmann, Brigitt (2007): Anthroposophische Pflege. Ein persönlicher Blick. In: Dr. Med. Mabuse. Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe. Jahrgang 32 (170): S. 23-25
  • Heine, R/ Bay, F (2001): Anthroposophische Pflegepraxis. Pflege als Gestaltungsaufgabe. Lehrbuch 2. Auflage. Hippokrates Verlag: Stuttgart.
  • Heine, Rolf (2007): Die pflegerische Geste. Ein Konzept der anthroposophischen Pflege. In: Dr. Med. Mabuse. Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe. Jahrgang 32 (170): S. 30-33
  • Hoffmann, Simone (2007): Zwischen Hightech und Natur. In: Dr. Med. Mabuse. Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe. Jahrgang 32 (170): S. 20-22
  • Mencke, N/ Bazlen, U/ Kommerell, T (2001): Pflege heute. Lehrbuch und Atlas für Pflegeberufe. 2. Auflage. Urban & Fischer: München.
  • Steiner, Rudolf (1954): Anthroposophische Leitsätze. Das lebendige Wesen und seiner Pflege. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michel-Mysterium. Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung: Dornach/Schweiz.
  • Steiner, Rudolf (1955): Die Geheimwissenschaft im Umriss. 26. Auflage. Verlag Freies Geistesleben: Stuttgart.
  • Wehr, Gerhard (2005): Rudolf Steiner. Heinrich Hugendubel Verlag: München.

Weiterführende Hinweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]