Überlastungsanzeige
Im Arbeitsleben ist eine Überlastungsanzeige (auch: Entlastungs-, Gefährdungs-, Gefahren- oder Präventionsanzeige[1]) eine schriftliche oder mündliche Mitteilung eines Arbeitnehmers an den Arbeitgeber oder den zuständigen Vorgesetzten über eine Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder andere Interessen des Arbeitsnehmers, des Arbeitgebers oder Drittbetroffener, die aus einer Überlastung oder Überforderung des Arbeitnehmers aufgrund von ihm nicht beeinflussbarer Arbeitsbedingungen oder organisatorischer Mängel resultiert.
Die Überlastungsanzeige dient dazu, den Arbeitgeber über die Mängel zu informieren, sie fordert den Arbeitgeber auf, die Mängel zu beseitigen, nimmt ihn damit gleichzeitig in die Verantwortung für die Mängelbeseitigung und sie dient dadurch der Entlastung des Arbeitnehmers von dem Risiko der Haftung für mögliche Schäden, die durch die Mängel verursacht werden. Die Überlastungsanzeige ist damit auch eine Entlastungsanzeige, wenngleich sie den Arbeitnehmer nicht davon entbindet, seine Arbeit auch bei Andauern der widrigen Bedingungen mit größtmöglicher Sorgfalt zu erledigen. Strafbare Handlungen werden durch die Anzeige nicht entschuldigt.
Die Überlastungsanzeige hat für den Pflegebereich, in dem aus Kostengründen immer mehr Personal eingespart werden muss, eine große Bedeutung. Das Arbeitspensum ist wegen der Personalknappheit oft nicht zu bewältigen, eine gute Pflege kann nicht mehr gewährleistet werden. Daraus folgen Arbeitsbedingungen, die für Pflegekräfte kaum noch akzeptabel sind. Es entstehen Arbeitsrückstände und Qualitätsmängel, Pflegekräften wie Patienten und Pflegebedürftigen drohen Gesundheitsschäden.
Unterlassen Beschäftigte eine Überlastungsanzeige, können ihnen Rechtsnachteile entstehen. Eine Überlastungsanzeige ist zum Beispiel geboten, wenn auf einer Pflegestation aufgrund von krankheitsbedingten Ausfällen mehrerer Pflegekräfte keine ausreichende personelle Besetzung mehr gegeben ist und dadurch eine ausreichende und fachgerechte Pflege nicht mehr garantiert werden kann.
Rechtliche Grundlagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nach § 15 bzw. § 16 Arbeitsschutzgesetz sind Arbeitnehmer verpflichtet, ihrem Arbeitgeber eine Überlastung anzuzeigen, wenn daraus eine Gefährdung der eigenen Gesundheit, Sicherheit oder der von anderen Personen entstehen kann:[2]
- § 15 (1): Die Beschäftigten sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten so wie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Entsprechend Satz (1) haben die Beschäftigten auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen Sorge zu tragen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.
- § 16 (1): Die Beschäftigten haben dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit […] unverzüglich zu melden.
Wann ist es Zeit, eine Überlastungsanzeige abzugeben?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Zeitpunkt zur Abgabe einer solchen, möglichst schriftlichen Erklärung ist spätestens dann gegeben, wenn die Übersicht über die zu leistende Arbeit verloren gegangen und aus eigener Kraft dem Anzeigenden die Abarbeitung nicht mehr möglich ist.
Es ist sehr empfehlenswert, sich im Vorfeld mit Kollegen und nach Möglichkeit mit dem [[Betriebsrat], der Mitarbeiter- oder der Personalvertretung zu besprechen.
Wann können Überlastungen auftreten? Mögliche Folgen?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Überlastung kann z.B. bei längerfristigen Krankheits- oder anderen Vertretungen sowie bei einem über dem Durchschnitt liegenden Arbeitspensum auftreten. Typische Situationen sind stark reduzierte Mitarbeiterzahl bzw. die hohe Arbeitsbelastung durch ungeplante Personalausfälle, akuter Mehraufwand (z. B. Notfälle, zusätzliche Aufnahmen, Umzüge) oder durch seit Wochen unbesetzte Stellen bei hohem Arbeitsanfall.
Arbeiten werden zum Teil unerledigt bleiben. Dies könnten folgende Aufgaben sein:
- berufsfremde Tätigkeiten
- Ausbildungsaufgaben
- Verwaltungsarbeiten
kurz: Arbeiten, die nicht dringend notwendig sind. Es können aber auch direkte pflegerische Arbeiten nicht oder nicht ausreichend erledigt werden.
- Einschränkung pflegerischer Maßnahmen wie zum Beispiel Mobilisierung oder Anleitungen zum Erhalt von Fähigkeiten (aktivierende Pflege).
- Reduzierung therapeutischer Maßnahmen wie Prophylaxen.
Die Beschäftigten haben alles in ihrer Kraft liegende zu tun, Schäden möglichst zu vermeiden. Es ist ihnen nicht zuzumuten, auszuwählen, welche Schädigungen sie Patienten zufügen oder durch Unterlassen herbeiführen.
Was könnte Abhilfe bringen?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Zusätzliche (versetzte, eingestellte) Arbeitskräfte
- Bettensperrung, Aufnahmesperre
- Verlegung von Patienten oder Bewohnern in andere Einrichtungen
- Verschiebung von einzelnen Arbeitsprozessen auf andere Abteilungen, Mitarbeiter oder einen späteren Zeitpunkt
Darüber haben die jeweiligen Leitungskräfte zu entscheiden.
Es kann gefragt werden, ob von unter Druck arbeitenden Pflegenden noch erwartet werden kann, dass sie auf so etwas hinweisen. Aber jedenfalls sollte ein Hinweis über den Zeitraum gegeben werden, die es evtl. noch bis zum "Untergang" braucht.
Was sollte in die Anzeige aufgenommen werden?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wenn ein vorangeganger telefonischer Hinweis an den Arbeitgeber ergebnislos geblieben ist, empfiehlt sich eine schriftliche Dokumentation einer Anzeige, um den Arbeitgeber mit in die Verantwortung zu nehmen und die Beschäftigten im eventuellen Schadensfall zu entlasten.
In eine Anzeige gehört das aktuelle Datum, die Namen der Beschäftigten und die betroffene Station oder Wohnbereich. Die aktuelle Situation sollte konkret beschrieben werden, dazu gehört:
- die Anzahl der aktuell zu versorgenden Patienten oder Bewohner mit ihren jeweiligen Pflegestufen und dem tatsächlichen Pflegeaufwand
- die Anzahl der aktuell vorhandenen Pflegekräfte sowie weitere Mitarbeiter (auch Auszubildende und Praktikanten) mit Angabe der jeweiligen Qualifikation
- die Art der Überlastung, beispielsweise keine Pausen, zu lange Wartezeiten für Patienten nach Klingelruf, Unmöglichkeit der Einhaltung bestimmter Kontrollgangsfrequenzen oder regelmäßiger Überwachungsmessungen, und schon eingetretene Folgen wie Beschwerden von Patienten, Bewohnern oder Angehörigen und Arbeiten, die nicht erledigt werden können.
Es ist darauf hinzuweisen, dass Fehler nicht auszuschließen sind und dass um Abhilfe gebeten wird. Ausdrücklich sollte darauf hingewiesen werden, dass auch weiterhin alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um eine Gefährdung der Patienten oder Bewohner zu vermeiden. Das Dokument wird von allen anwesenden Mitarbeitern unterschrieben.
Die Reaktion des Arbeitgebers auf eine Überlastungsanzeige kann Repressalien gegen die Anzeigenden zur Folge haben.[3] Es empfiehlt sich im Vorfeld wirklich alle denkbaren Ressourcen zu mobilisieren. Es ist schon vorgekommen, dass Mitarbeiter nur wegen einer Überlastungsanzeige eine Kündigung angedroht wurde. Um die Folgen für die Einzelnen abzuschwächen, wäre eine gemeinsame Aktion eines Teams in Absprache mit der Personalvertretung hilfreich.
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Martina Weber: 50 Fragen zur sogenannten Überlastungsanzeige in Pflegeeinrichtungen. Brigitte Kunz Verlag, 2011. 108 Seiten. ISBN 978-3-89993-763-3
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Muster einer Überlastungsanzeige für den Pflegedienst bei verdi.de (23.10.2008)
- Muster einer Überlastungsanzeige bei verdi.de/nrw (20.10.07)
- Sabine Dörpinghaus: Die Überlastungsanzeige. *Harald Keifert, Facharbeit, 1998/2002
- Überlastungsanzeige bei Wikipedia.de
- www.fachverlag-pflegerecht.de
Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ Ernst-Günther Mörsel: Überlastungsanzeigen. S. 2. Auf: www.unikum-aachen.de, abgerufen am 10. März 2012
- ↑ Besteht eine Pflicht zur Darstellung einer Überlastungssituation im Arbeitsverhältnis?. Auf: ver.di Bildung + Beratung gGmbH, abgerufen am 10. März 2012
- ↑ Ernst-Günther Mörsel: Überlastungsanzeigen. S. 1. Auf: www.unikum-aachen.de, abgerufen am 10. März 2012