Freiheitseinschränkende Maßnahmen

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Freiheitseinschränkende Maßnahmen oder Freiheitsentziehende Maßnahmen (kurz FeM) sind mechanische (z.B. Bettgitter, Fixiergurt), räumliche (z.B. Isolierung, Time-out) oder chemische Maßnahmen (z.B. Verabreichen von Psychopharmaka) mit dem Ziel, den Betroffenen in seiner Bewegungsfreiheit zu beschränken. Alle freiheitseinschränkenden Maßnahmen stehen zunächst im Gegensatz zu der in den Grundrechten der Verfassung verankerten staatlichen Freiheitsgarantie. Eine solche Maßnahme kann den objektiven Straftatbestand der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB erfüllen und wäre dann strafbar, wenn für die freiheitsentziehende Maßnahme kein Rechtfertigungsgrund vorliegt. In der Pflege geht es dabei um legale Maßnahmen, die aber nicht nur aus den strafrechtlichen Gründen als letztes Mittel sondern aus ethischen Überlegungen heraus und wegen der Verletzung der Person/der Persönlichkeit nur mit einer sehr engen Indikation eingesetzt werden dürfen. Die Indikation für eine freiheitseinschränkende Maßnahme sollte regelmäßig im Team überdacht und die Maßnahme sobald als möglich durch Alternativen ersetzt werden.

Begriffserklärung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grenzt grundsätzlich Freiheitseinschränkung und -entziehung nach der Intensität der Maßnahme oder des Eingriffes ab. Freiheitseinschränkung bezeichnet demnach einen Oberbegriff, der mit einer Bewegungseinschränkung einhergeht. Freiheitsentziehung bezeichnet die schwerste Form der Freiheitseinschränkung (z.B. Fixierung). Der Übersichtlichkeit halber wird in diesem Bericht von Freiheitsentziehenden Maßnahmen gesprochen.

Formen von Freiheitsentziehenden Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mechanische Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Anbringen von Bettseitenstützen
  • Anbringen eines Tischbretts oder Therapietisch
  • Fixiergurte (SeguFix o.ä., Drei-, Fünf- oder Neunpunkt-Fixierung)
  • Zwangsjacken
  • Einsperren im Zimmer/auf der Station
  • Benutzung von Trickschlössern

Psychopharmaka[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als FeM gilt das Verabreichen von Psychopharmaka mit dem primären Ziel, den Betroffenen am Verlassen des Bettes oder der Einrichtung zu hindern. (Beachte: Psychopharmaka, die aus therapeutischen Zwecken verabreicht werden und als Nebenwirkung den Bewegungsdrang des Betroffenen einschränken, fallen nicht unter FeM)

Sonstige Beeinflussung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wegnehmen von Gehhilfen, Kleidung, usw...
  • Am Verlassen der Station hindern
  • verbale und/oder körperliche Drohung

Gründe für den Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Regel handelt es sich immer wieder um dieselben "Probleme" die eine Freiheitseinschränkung notwendig erscheinen lassen. Dabei sollte man bedenken, dass bei jedem Patienten eine andere Ursache für sein Verhalten zugrunde liegt. Folgende Verhaltensauffälligkeiten führen häufig zu dem Einsatz einer freiheitsentziehenden Maßnahme:

  • Sturzgefahr
  • Gesundheitsgefährdung durch Entfernen von Zu- und Ableitungen
  • Aggressives Verhalten gegen sich selbst oder andere
  • Starke motorische Unruhe mit gesundheitlicher Beeinträchtigung

Keine Studie weltweit zeigt positive Effekte durch eine Freiheitseinschränkung, dagegen weisen mehrere Studien einen negativen Effekt nach (erhöhte Sturzgefahr durch Muskelabbau, Stress...)

Alternative Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine freiheitsentziehende Maßnahme sollte immer das letzte Mittel sein, das für den jeweiligen Betroffenen in Betracht gezogen wird. Wie im ganzen Leben gilt auch hier: Es gibt keine Freiheit ohne Risiko. Ein risikoarmes, aber unfreies Dasein entspricht nicht den Vorstellungen von Selbstbestimmung und Würde. Es kann unter anderem zu Aggression und Deprivation führen.
Inwiefern ist jeder Beteiligte bereit, gewisse Risiken mitzutragen, um die Lebensqualität des Pflegebedürftigen zu erhalten (möglicherweise zu Ungunsten einer einrichtungsinternen Sturz-Statistik)?

Daher wurden mögliche alternative Maßnahmen entwickelt, die zwar keinen "Sofort-Effekt" bewirken, dem Pflegebedürftigen aber Wahlmöglichkeiten lassen und längerfristig zum Teil zu mehr Sicherheit führen, wie zum Beispiel

  • Kraft- und Balancetraining
  • Sensormatte, Alarmgeber
  • Niederflurbett
  • Neubewertung der Medikation
  • geteilte Bettgitter mit Ausstiegsmöglichkeit
  • Beschäftigungsangebote
  • Biografiearbeit
  • Hüftprotektoren und Sturzhelme (werden von vielen Pflegebedürftigen aber abgelehnt)

Alternative Maßnahmen sollen vor Beginn der freiheitsentziehenden Maßnahme sowie in festgelegten Zeitabständen im Team diskutiert und erprobt werden. Nur durch Kreativität und behutsames Ausprobieren kann die richtige Alternative für den jeweiligen Betroffenen gefunden werden. Besorgte Angehörige, die beispielsweise wegen erhöhter Sturzgefahr FeM einfordern, werden darauf hingewiesen, dass im Sinne der Lebensqualität abgewogen wird und die rechtlichen Vorgaben beachtet werden müssen. Dennoch werden Angehörige mit ihren Befürchtungen ernst genommen und in den Entscheidungsprozess miteinbezogen.

Aufgrund intensiver öffentlicher Diskussion und schwerpunktmäßiger Kontrolle durch MDK und jeweiliger Heimaufsicht empfiehlt sich vor allem für Langzeitpflegeeinrichtungen ein hausinternes Vorgehen festzulegen und den Einsatz von FeM soweit möglich zu reduzieren.[1]

Rechtliche Grundlagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erfordernis der Einwilligung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Freiheitsentziehende Maßnahmen sind rechtlich, abgesehen von Notfällen oder einem Notstand, nur mit der Einwilligung des Patienten, eines Bevollmächtigten, dem die Entscheidungsbefugnis über FeM ausdrücklich übertragen worden ist, oder eines Betreuers zulässig. Selbst Ehepartner oder Verwandte gelten als nicht entscheidungsbefugt; es sei denn, sie verfügen über die entsprechenden Vollmachten. Ein Betreuer bedarf für die Einwilligung der Genehmigung durch das Betreuungsgericht.

Weder die Pflegekraft noch ein Arzt haben - von Notfall- und Notstandsmaßnahmen abgesehen - ein Entscheidungsrecht.

Vorhandene Einwilligungsfähigkeit beim Patienten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Einwilligung durch den Patienten setzt seine Einwilligungsfähigkeit voraus. Er muss den Sinn und Zweck der Maßnahme verstehen und seinen Willen hiernach ausrichten können. Dazu muss er über die Maßnahme aufgeklärt worden sein. Die Aufklärung muss sich auch auf mögliche Alternativen zur FeM erstrecken. Verweigert der einwilligungsfähige Patient seine Einwilligung, darf die FeM nicht durchgeführt werden.

Ist für den Patienten bereits ein Betreuer bestellt, zu dessen Aufgabenkreis die Einwilligung in die FeM gehört, so muss dieser anstelle des Patienten die Einwilligung erteilen, auch wenn der Patient einwilligungsfähig ist. Der Betreuer hat bei seiner Entscheidung den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft. Will der Betreuer die Einwilligung erteilen, bedarf er der Genehmigung durch das Betreuungsgericht (§ 1906 Abs. 4 BGB). Das Betreuungsgericht prüft die Entscheidung des Betreuers und genehmigt sie oder lehnt die Genehmigung ab.

Nicht einwilligungsfähige Patienten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ist der Patient nicht einwilligungsfähig, muss ein Bevollmächtigter oder ein Betreuer die Einwilligung erteilen. Nicht nur der Betreuer, auch der Bevollmächtigte benötigt hierfür die Genehmigung des Betreuungsgerichts (§ 1906 Abs. 5 BGB; Beschluss d. BGH v. 27.06.2012 - XII ZB 24/12).

Ist ein Betreuer nicht vorhanden oder wird ein Bevollmächtigter als nicht geeignet angesehen, ist beim Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers anzuregen.

Das Betreuungsgericht prüft, ob die Bestellung eines Betreuers notwendig ist. Eine Bestellung ist nicht notwendig, wenn der Patient eine andere Person bevollmächtigt hat und diese geeignet und in der Lage ist, die Angelegenheit des Patienten zu besorgen. Lehnt der (volljährige) Patient die Einrichtung einer Betreuung ab, prüft das Gericht, ob die Ablehnung durch den Patienten auf einem freien Willen beruht. Gegen den freien Willen des Patienten darf ein Betreuer nicht bestellt werden.

Solange keine Entscheidung des Betreuungsgericht vorliegt, muss die Einrichtung alle Entscheidungen, die sie für unabwendbar hält, in eigener Verantwortung treffen.

Ausnahmsweise Entbehrlichkeit der Einwilligung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Notstand und Notwehr[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Keiner Einwilligung bedarf die FeM, wenn und solange sie erforderlich ist, um eine erhebliche gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für den Patienten oder für andere abzuwenden (Notstand, § 34 StGB). Dabei muss das Interesse an der Gefahrenabwehr das Interesse an der unbeeinträchtigten Freiheit wesentlich überwiegen. Der Notstand rechtfertigt die FeM nur solange, wie die Einwilligung durch einen Betreuer nicht eingeholt werden kann.

Eine Rechtfertigung liegt auch vor, wenn die FeM erforderlich ist, um ein gegenwärtigen Angriff auf die Pflegekraft oder andere Patienten (Notwehr bzw. Nothilfe, § 32 StGB) abzuwehren.

Sonstige Ausnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei nicht einwilligungsfähigen Patienten, die keine willentlichen Bewegungen mehr ausführen können, durch unwillkürliche Bewegungen (z.B. Anfallsleiden) jedoch einer Selbstgefährdung ausgesetzt sind, dürfen erforderliche FeM ausnahmsweise ohne Einwilligung angewendet werden, wenn ein Arzt die Unfähigkeit, willkürliche, zielgesteuerte Bewegungen ausführen zu können, bestätigt hat. Das wird damit begründet, dass der Patient mangels der Fähigkeit zu willkürlichen Bewegungen gar nicht in der Lage ist, sich frei zu bewegen, so dass eigentlich gar keine Freiheit entzogen wird.

Bei Patienten, die auf Grundlage des Unterbringungsgsetzes des jeweiligen Landesgesetzes für psychisch Kranke (PsychKG) aufgrund eines richerlichen Beschlusses in dafür anerkannten Einrichtungen untergebracht sind, rechtfertigt der richterliche Beschluss die mit der Unterbringung verbundene Freiheitsentziehung im Rahmen der Maßgaben des Unterbringungsgesetzes.

Ansätze zur Vermeidung von FEM[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 2009 wurde die erste evidenz-basierte Praxisleitlinie zur Vermeidung von FEM in der stationären Altenpflege veröffentlicht. Anschließend wurde erfolgreich der Nutzen und die Sicherheit eines Leitlinien-basierten Programms in einer in einer randomisierten kontrollierten Studie nachgewiesen. Im Jahr 2015 wurde eine aktualisierte Leitlinie veröffentlicht (Leitlinie FEM).

Ein andere Projekt zur Reduzierung der Häufigkeit von FEM in Pflegeheimen war Redufix.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bücher[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pflegelehrbuch:

  • Thiemes Pflege, 11. A. S. 1310-1311 (Abschnitt 42.3.2)
  • Birgit Hoffmann, Thomas Klie (Herausgeber): Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht. Voraussetzungen, Verfahren, Praxis.
  • Friedhelm Henke: Fixierungen in der Pflege - Rechtliche Aspekte und praktischer Umgang mit Fixiergurten. Kohlhammer, Stuttgart 2006. ISBN 3-17-018771-6 Reihe Pflegekompakt (163 Seiten).
  • Rolf Höfert: Pflegethema: Spannungsfeld Recht. Georg Thieme Verlag, 1998
  • R. Ketelsen, M Schulz, C. Zechert: Seelische Krise und Aggressivität. Bonn, 2004
  • D. Richter, D. Sauter: Gewalt in der psychiatrischen Pflege. Bern, Huber, 1998

Beiträge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Andrea Berzlanovich: Freiheitsentziehende Maßnahmen - Eine spezielle Form von Gewalt. in: Die Schwester/Der Pfleger 05/10 (letzte Möglichkeit, Indikationen, Methoden, Reduktion, Internetportal „FeLs“, zur Studie „Zum Umgang mit FeM in Einrichtungen der Altenpflege in Bayern und Baden-Württemberg“)
  • Cornelia Böhm et al.: Die Fixierung von Patienten. In: Die Schwester/Der Pfleger 04/99 S:330-335
  • Volker Großkopf: Die Fixierung des Patienten. Pflegezeitschrift 09/94 S:500-501
  • Thomas Klie: Hinter Gittern. In: Altenpflege 07/98, S:37-39
  • Ulrich Rißmann: „Anbinden“ muss nicht sein – Möglichkeiten zur Reduzierung von Fixierungen. (25.10.2008)
  • Angelika Schäfer: Freiheit, die ich meine. In: Altenpflege 07/98, S:36-39
  • K. Tardiff: Concise Guide to assessment and Management of Violent Patients. Washington, Am. Ps. Press, 1996 (engl.)
  • Madeleine Viol: Freiheitsentziehende Maßnahmen unter ethischen Gesichtspunkten. In: Unterricht Pflege 4/2008:36-41

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Artikel bei Wikipedia zum

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen und Belege[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

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