Gütekriterien qualitativer Pflegeforschung

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Gütekriterien wie Objektivität, Anwendbarkeit, Validität, Wahrheitswert, Beständigkeit, Neutralität sind Kriterien, mit denen die Wissenschaftlichkeit, Güte und Geltung von qualitativen Forschungsarbeiten bewertet werden können (nach Steinke 2000). Hierbei sind diese Kriterien kein starres Gerüst, sondern sie dienen als Anhaltspunkte (Leitfaden) zur Orientierung.

Sie sind eine Hilfe, um systematisch, bewusst und tiefgehend methodisch vorgehen zu können (Lincoln 1995).


Die Zahl der qualitativen Forschungsarbeiten steigt immer mehr an. Es gibt aber keinen Konsens darüber, nach welchen Kriterien die Qualität dieser Forschungen beurteilt werden sollen.

Wozu Gütekriterien?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gütekriterien werden benötigt zur:

  • Legitimierung qualitativer Forschung
  • Abgrenzung zum Alltagswissen
  • Hilfe zum systematischen Vorgehen, um tiefer in das Forschungsfeld einsteigen zu können und das Thema nicht nur oberflächlich zu arbeiten

4 Grundfragen zur Beurteilung der Qualität wissenschaftlicher Forschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Beurteilung der Qualität wissenschaftlicher Forschung (quantitativ und qualitativ) ist eine Orientierung an den 4 Grundfragen hilfreich:

  1. Applicability (Anwendbarkeit): Wie kann man das Maß der Anwendbarkeit der Ergebnisse in anderen Kontexten oder mit anderen Subjekten bestimmen?
  2. True value, (Validität, Wahrheitswert): Wie kann man Vertrauen in die Wahrheit der Ergebnisse einer Forschung für die Subjekte in ihren jeweiligen Kontexten, in denen die Forschung durchgeführt wurde, erreichen.
  3. Consistency (Reliabilität, Beständigkeit): Wie kann man bestimmen, ob Ergebnisse einer Untersuchung wiederholbar sind wenn man die Untersuchung mit den selben oder ähnlichen Subjekten in den selben oder ähnlichen Kontexten erneut durchführen würde.
  4. Neutrality (Objektivität, Neutralität): Wie kann der Grad erreicht werden, damit die Ergebnisse der Studie durch die Untersuchungssubjekte bestimmt sind und nicht durch die Voreingenommenheiten, Motivationen, Interessen oder Perspektiven der Forschenden, deren Subjektivität?

Probleme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Es gibt unterschiedliche qualitative Forschungsmethoden für die es keine einheitlichen Gütekrieterien gibt, da nicht jedes Kriterium zu jeder Methode passt.
    • Gegenargument: Gütekriterien sind kein starres Gerüst, sondern sind "lediglich" Anhaltspunkte
  • Es gibt keinen Konsens darüber, nach welchen Kriterien die Güte einer qualitativen Forschung beurteilt werden sollen.
  • Meinung: Es wird nie die Kriterien für die qualitative Forschung geben.

Grundpositionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt vier Grundpositionen, die sich aus der Geschichte der qualitativen Forschung entwickelt haben und die sich größtenteils gegenseitig ausschließen.

  1. Ablehnung von Kriterien,
  2. Verwendung klassischer Kriterien
  3. Reformulierung klassischer Kriterien
  4. Formulierung alternativer Kriterien

Ablehnung von Kriterien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kriterien werden Grundsätzlich abgelehnt, da sich jeder Mensch seine subjektiven Gedanken über die Welt macht, und somit Objektivität nicht erreicht werden kann


Kritik an dieser Position:

  • Beliebigkeit und Willkürlichkeit
  • fehlende Anerkennung durch die Science Community und somit Abwertung der qualitativen Forschung

Verwendung klassischer quantitativer Gütekriterien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Validität, Reliabilität und Objektivität können auch die Güte qualitativer Forschung beurteilen. Die Intention ist hierbei, dass einheitliche Kriterien in der Wissenschaft verwendet werden und somit auch eine einheitliche Methodik und Sprache verwendet wird.

  • Kritik: Klassische Kriterien sind entwickelt worden, um eine Standardisierung zu erreichen und Kontextbedingungen zu kontrollieren (Messfehler ausschließen). Dies steht im kompletten Widerspruch zur qualitativen Forschung. Diese fragt eher "Wie ist etwas" und nicht "wieviel ist etwas".

Reformulierung klassischer Kriterien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Klassische Kriterien sind nicht direkt übertragbar. Es gibt eine Tendenz, die Kriterien der quantitativen Forschung anhand qualitativer Eigenheiten zu Reformulieren. Vertreter dieser Position sind Lincoln und Guber, welche das Konzept der Trust Worthyness entwickelten.

  1. Glaubwürdigkeit (Credibility): Vertrauen in die Wahrheit der Daten (vgl. innere Validität, vgl. Truth value). (z.B. man glaubt Corry Bosch, dass sie tatsächlich in Pflegeheimen vor Ort war und dort beobachtet hat). Strategien hierzu sind:
    1. Untersuchungstriangulation: Eine zweite Forscherin untersucht das selbe Phänomen, und sollte zu ähnlichen (nicht gleichen!) Ergebnissen kommen. (Siehe auch Triangulation)
    2. Peer-Debriefing: Eine Arbeitsgruppe soll die Ergebnisse kritisch begutachten und diskutieren.
    3. Referential Adequacy: Das Datenmaterial wird archiviert, um es zu einem späteren Zeitpunkt mit den Ergebnissen der Forschung zu vergleichen
    4. Member-Checking: Die Ergebnisse werden mit den Probanden disktutiert und auf Richtigkeit überprüft.
    5. Glaubwürdigkeit der Forschenden: Indem die forschende Person ihre Qualifikation, Erfahrung, sowie Aspekte, die die Forschung beeinflusst haben könnten, dokumentiert, können die Lesenden sich über die Glaubwürdigkeit der Forschenden ein Urteil bilden.
  2. Transferability (Übertragbarkeit): In welchem Ausmaß lassen sich die Ergebnisse einer Studie auf ein anderes Setting bzw. eine andere Personengruppe übertragen (vgl. externe Validität, vgl. Applicability). Strategien hierzu sind:
    1. Anreichern der Ergebnisse mit Material der Situationen vor Ort und ausführliche Beschreibung der Ergebnisse.
    2. thick description: Verwendung von Photos und plausiblen Zitaten (vgl. Sigfried Borkers Buch zur Nahrungsverweigerung)
  3. Dependability (Abhängigkeit) (auch: meaning in context): Ergebinsse sind nie statisch und sollten veränderbar bleiben. Ergebnisse einer Studie können nur innerhalb des untersuchten Kontextes Bedeutung haben. Sobald sich der Kontext ändert, werden sich auch die Ergebnisse einer neuen Untersuchung ändern (vgl. externe Validität). Strategien hierzu sind:
    1. Ausführliche Beschreibung der Situation
    2. Vergleich von unbearbeiteten (neuen) Daten und interpretierten Daten, um Interpretationsfehler zu vermeiden.
  4. Confirmability (Bestätigung): Begleitung durch eine externe Person. Im Unterschied zum Peer-Debriefing, welches am Ende einer Forschung steht, hat Confirmability prozesshaften Charakter (vgl. Neutralität). Strategien hierzu sind:
    1. Audit-Trial: Eine Mentorin beurteilt den Forschungsprozess kritisch (vgl. Mentorin in der Ausbildung).


Es gibt verschieden Diskussionen zu diesem Konzept:

  1. Es kann zu sprachlichen Verwirrungen kommen, da man die Reformulierungen mit den klassischen Gütekriterien vergleicht. Das Konzept ist zwar an den klassischen Kriterien anglehnt, kommt aber zu anderen Ergebnissen.
  2. Der Bereich Ethik als Gütekriterium wird nicht behandelt.
  3. Das Kriterium Sättigung (Saturation) wird nicht behandelt. Gegenargument hierzu ist, dass es niemals eine tatsächliche Datensättigung geben kann.

Formulierung alternativer Kriterien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kriterien der quantitativen Forschung sind nicht für die qualitative Forschung geeignet, und können auch nicht reformuliert werden. Man muss vielmehr die Gütekriterien an den methodischen Spezifika der qualitativen Forschung ausrichten. Hauptvertreter dieser Position sind Ines Steinke und David Aldridge.

Vorraussetzungen, die diese Kriterien erfüllen müssen:

  • Kompatibilität mit dem Ziel der Theorieentwicklung
  • Phänomene müssen im Kontext erfasst werden. Dies muss sich auch in den Gütekriterien wiederfinden lassen.
  • Kriterien sollen der Komplexität der Phänomene gerecht werden
  • Alltagsgeschehen, -handlung und -wissen sollen erfasst werden


Kriterien nach Steinke sind:

  1. intersubjektive Nachvollzhiehbarkeit: Herstellung der Nachvollziehbarkeit durch:
    • Dokumentation des Forschungsprozesses (zentrale Technik)
    • Interpretation in Gruppen
    • Anwendung und Entwicklung kodifizierter Verfahren (Kodierverfahren)
    • Transparenz und Explizitheit: Vorverständnis, Erhebungsmethode, Transskriptionsregeln, Auswertung, Informationsquelllen, Dokumentation von Entscheidungen und Problemen
  2. Indikation: In Bezug auf die Fragestellung, inwiefern sind Methodenwahl, Transkriptionsregeln, Samplignstrategien, Bewertungskriterien und Einzelentscheidungen indiziert? Entspricht der Forschungsweg dem, was man untersuchen will?
  3. empirische Verankerung: Die Bildung und Überprüfung von Theorien und Hypothesen sind (empirisch) in den Daten begründet. Keine subjektive Interpretation der Daten anhand von Vorwisssen und Erfahrung! Strategien hierzu sind:
    • Verwendung kodifizierter Methoden
    • hinreichende Textbelege für entwicklete Theorien
    • analytische Induktion
    • Prognosen anhand der Theorie ableiten, die am Text belegbar sind
    • Kommunikative Validierung (member-check): Daten und Ergebnisse werden dem Probanden vorgelegt, welcher dann die Richtigkeit bewertet.
  4. Limitation: Die Reichweite der eigenen Ergebnisse werden expliziert. Die Grenzen der Verallgemeinbarkeit werden dargestellt. Erfüllt die Forschung die Kriterien einer Theorie? Strategien hierzu sind:
    • Fallkontrastierung
    • Abweichende, negative und extreme Fälle analysieren
  5. Kohärenz: Die im Forschungsprozess entwickelte Theorie soll in sich schlüssig (kohärent) sein. Widersprüche in den Daten und Interpretationen sollen ofefngelegt werden.
  6. Relevanz: Welchen Beitrag leistet die Theorie? Trägt sie zur Lösung von Problemen bei?
    • ist die Fragestellung relevant ?
    • welchen Beitrag leistet die entwickelte Theorie?
  7. reflektierte Subjektivität: Die Rolle des Forschers als Subjekt und Teil der sozialen Welt wird reflektiert. Strategien hierzu sind:
    • Selbstbeobachtung (woher komme ich, welche Beziehung habe ich zu dem Thema)
    • persönliche Vorraussetzungen reflektieren
    • Reflektieren der Vertrauensbeziehung zwischen Forscher und Informant


Kritik an dieser Position:

  • Die Kriterien können keine umfassende Geltung beanspruchen. Beispiel "Limitation": Dieses Kriterium wird von Steinke sehr defensiv beschrieben; sie spricht von "Verallgemeinerung", andere Autoren fordern "Generalisierbarkeit".


Steinkes Positionen zu ihren Gütekriterien:
Steinke vertritt ihre Kriterien dadurch:

  • Die Verwendung klassischer Kriterien wecken falsche Erwartungen an qualitativer Forschung
  • Die Begriffe Validität und Reliabilität werden unterschiedlich beschrieben und gesehen. Dies fördert an sich schon Sprachverwirrung
  • Es geht weniger darum einzelne Kriterien zu formulieren, sondern ein zusammenhängendes System von Kriterien zu schaffen. Ein solchen System soll Wege der Operationalisierung aufzeigen (Prüfsystem; Checkliste)


Alternative nach Mayring:

  1. Verfahrensdokumentation
  2. argumentative Interpretationsabsicherung
  3. Regelgeleitetheit
  4. Nähe zum Gegenstand
  5. kommunikative Validierung
  6. Triangulation

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bücher:

  • Lamnek, S. (2005): Qualitative Sozialforschung. Beltz, ISBN 3-621-27544-4 <a href="javascript:Pick it!ISBN: 3621275444"><img style="border: 0px none ;" src="http://www.citavi.com/softlink?linkid=FindIt" alt="Pick It!" title='Titel anhand dieser ISBN in Citavi-Projekt übernehmen'></a>
  • Mayring, P. (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung. München, ISBN
  • Ines Steinke (1999): Kriterien qualitativer Forschung - Ansätze zur Bewertung qualitativer-empirischer Sozialforschung. Verlag Juventa, ISBN
  • Polit, D.F.; Tatano Beck, Ch.; Hungler, B.P. (2004) Lehrbuch Pflegeforschung. Hans Huber, Stuttgart. ISBN


Zeitschriften:

  • Prakke, Wurster (1999): Gütekriterien für qualitative Forschung. In: Pflege 1999;12:183-186

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

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