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Ein Nationaler Expertenstandard ist ein Instrument der Qualitätsentwicklung auf nationaler Ebene. Er trifft Aussagen zu bestimmten Pflegeproblemen, die das aktuelle Wissen in Pflegewissenschaft und Pflegepraxis berücksichtigen, und enthält Handlungsrichtlinien, auf die sich ausgewählte Vertreter der Berufsgruppe geeinigt haben.

Nach diesen Richtlinien sollen verbindliche Pflegestandards in den einzelnen Einrichtungen des Gesundheitswesens bzw. der Altenhilfe entwickelt und eingeführt werden.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Expertenstandards werden in Ländern mit einer zentralen Pflegekammer auch von dort aus (weiter-)entwickelt und ausgegeben. In Deutschland setzte die Entwicklung von Expertenstandards erst verzögert 1999, unter Federführung des Deutschen Netzwerks zur Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) und teilfinanziert mit Bundeszuschüssen, ein. Dies ist zu einem großen Teil die Reaktion auf die Entwicklung verschiedenster Pflegestandards in den 1980er und 1990er Jahren quer durch die Bundesrepublik. Diese Standards waren zum Teil in Aufbau und Aussagen sehr unterschiedlich. Adelheid von Stösser veröffentlichte 1992 ein Buch zu dieser Situation und der idealtypischen Vorgehensweise bei der Entwicklung von Pflegestandards. Kritik an diesem Vorgehen wurde aus unterschiedlichsten Standpunkten geäußert (siehe Stösser-Standards). Die Kernfrage, wie Pflegekräfte der einzelnen Einrichtung einen Konsens finden, löste diese mehr akademische Debatte gar nicht. Mit der Entwicklung der ersten deutschen Expertenstandards wurde ein neuer Weg beschritten.

Aufbau eines Expertenstandards[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Expertenstandard des DNQP ist nach dem Vorbild eines Qualitätsstandards nach Avedis Donabedian aufgebaut und enthält die folgenden Kernelemente:

  • Strukturqualität: beschreibt die Rahmenbedingungen, unter welchen die Leistung erbracht wird.
  • Prozessqualität: beschreibt die Abläufe der einzelnen Prozesse unter weitgehender Berücksichtigung der Tatsache, dass meistens mehrere Berufsgruppen beteiligt sind.
  • Ergebnisqualität: in Abhängigkeit der Struktur- und Prozessqualität beschreibt dies das Leistungsergebnis.

Nach der Definition des DNQP enthält ein Standard ein bestimmtes Leistungsniveau und die Forderung nach dessen Operationalisierung,was bedeutet, dass dieses Leistungsniveau messbar und damit überprüfbar sein muss.[1]

Entwicklungsprozess eines Expertenstandards[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Datei:Saeulen Standards01.jpg

Im Gegensatz zu Pflegestandards, die sich jeweils auf eine konkrete Pflegesituation beziehen, legen Expertenstandards mit wissenschaftlichen Methoden Rahmenbedingungen fest, die unter anderem die Versorgungsqualität bei pflegeepidemiologischen Problemen (wie Dekubitus, Inkontinenz, Schmerzen, Stürze) verbessern sollen. Expertenstandards sind daher eher allgemein formuliert. Sie werden anhand von Literaturstudien erarbeitet und überprüft. In der Anfangsphase der Entwicklung arbeiten zunächst ausgewiesene Pflegeexperten des jeweiligen Themengebietes und eine pflegewissenschaftliche Forschungsgruppe zusammen. Darauf folgt eine Abstimmung der Professionen während einer Großveranstaltung (Konsentuierung). Nach Einbeziehung der Fachöffentlichkeit und Auswertung der Abstimmung durch die Forschungsgruppe wird der Entwurf gegebenenfalls entsprechend geändert. Daraufhin wird der Standard in verschiedenen Einrichtungen eingeführt und getestet, anschließend erfolgt die Veröffentlichung mit Kommentierung und Auditinstrumenten.

Da auch pflegerisches Wissen jedoch ungefähr eine Halbwertszeit von fünf Jahren aufweist oder konkrete Untersuchungen noch gar nicht vorliegen, müssten Expertenstandards relativ oft überarbeitet werden. Konstruktive Kritik ist somit erwünscht und angebracht. Beispielsweise wurde nach Einführung der ersten Fassung des Expertenstandard Dekubitusprophylaxe (2000) die uneingeschränkte Empfehlung zur Verwendung von Einschätzungsskalen kritisiert: Solche Skalen geben nur darüber Auskunft, ob eine Dekubitusgefahr besteht oder nicht. Wünschenswert wäre die Entwicklung von Einschätzungsinstrumente, die die Art und den Schweregrad bestimmen und davon abgeleitet einen Hinweis über geeignete Maßnahmen liefern. Andererseits wird dabei deutlich, dass gute Expertenstandards nur entwickelt werden können, wenn auch wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Bereich der Pflege, der Thema des Standards ist, schon vorliegen.

Die Entwicklung der Expertenstandards wird im Folgenden am Beispiel des Expertenstandard Dekubitusprophylaxe erläutert.

Expertenarbeitsgruppe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Arbeitsgruppe besteht aus Vertretern möglichst vieler Pflegeberufe, Praxisfelder und der Pflegewissenschaft. In diesem Falle wurden Personen mit besonderer Expertise zur Dekubitusprophylaxe ausgewählt, zum Beispiel Christa Gottwald, Karla Kämmer und Eva-Maria Panfil.

Literaturanalyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Literaturanalyse dient der Darstellung der Wirksamkeit nationaler und internationaler Forschung zum Thema (Dekubitusentstehung und -prophylaxe). Daraus wird ein erster Entwurf erarbeitet.

Konsensus-Konferenz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Konsensus-Konferenz (auf dt: Treffen, um einen gemeinsamen Willen, eine Übereinstimmung oder Ansicht zu etwas zu finden) wird der Entwurf einer möglichst breiten Fachöffentlichkeit vorgestellt. Die von der Expertenarbeitsgruppe erstellten Punkte werden diskutiert, um einen möglichst gemeinsamen "Nenner" zu finden. Die Diskutanten setzen sich aus Fachvertretern der Wissenschaft und Praxis zusammen. Teilnehmer (und Beobachter) sind Mitglieder der Ärztekammer, Juristen, Politiker, Kostenträger und Fachgesellschaften.

Der Verlauf der Konferenz wird dokumentiert und die Ergebnisse des Diskurses werden in die endgültige Version des Expertenstandards aufgenommen.

Implementierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter wissenschaftlicher Begleitung werden die Standards modellhaft in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung eingeführt. Das Ziel ist die Überprüfung der Akzeptanz und Praxistauglichkeit der Standards.

Aktualisierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach spätesten 5 Jahren werden die Standards im Hinblick auf ihre Aktualität überprüft. Fragestellungen können sein:

  • Gibt es neue Literatur?
  • Gibt es neue Forschungsergebnisse?

Veröffentlichte Nationale Expertenstandards[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits vorhandene Nationale Expertenstandards (NES) der Pflege des DNQP:

1.Expertenstandard Dekubitusprophylaxe (2000, 1. Aktualisierung 2010)

2.Expertenstandard Entlassungsmanagement (2004, 1. Aktualisierung 2009)

3.Expertenstandard Sturzprophylaxe (2006, 1. Aktualisierung 2013)

4.Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz in der Pflege (1. Aktualisierung 2014)

5. Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden (1. Aktualisierung 2015)

6.Expertenstandard Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege (2010)

7. Expertenstandard Schmerzmanagement bei chronischen nicht-malignen Schmerzen (März 2014)

8. Expertenstandard Förderung der Mobilität (Oktober 2016, noch nicht verabschiedet)


Weitere Themen, die zur Bearbeitung anstehen:

  • Expertenstandard Pflege von demenziell Erkrankten
  • Expertenstandard Medikamentenmanagement

Entwicklung von Expertenstandards nach Novellierung des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz schreibt im § 113a des SGB XI "Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege" vor, dass für die Pflege verbindliche Qualitätsstandards festgelegt werden sollen. 2008 haben sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen und der GKV-Spitzenverband auf ein Vorgehen geeinigt. Die künftigen Standards werden für alle Pflegeeinrichtungen in Deutschland verbindlich. Auf Vorschlag der beteiligten Institutionen soll die Entwicklung eines Standards ausgeschrieben werden ("Der Auftrag zur Entwicklung oder Aktualisierung und die Einführung von Expertenstandards erfolgen jeweils durch einen Beschluss der Vertragsparteien. "). Das beauftragte pflegewissenschaftliche Institut erarbeitet danach einen Entwurf. Dieser wird dann mit den verschiedenen Beteiligten diskutiert. Dabei sollen auch die Betroffenen ebenso wie die Fachöffentlichkeit einbezogen werden. Danach soll zunächst eine modellhafte Implementierung folgen. Anschließend entscheiden die Vertragspartner gemeinsam über die (Art der) Einführung des Expertenstandards. Damit wird er für alle angeschlossenen Institutionen als Mindeststandard verbindlich.

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Expertenstandards legen sich in der praktischen Umsetzung nicht fest, die Entscheidung für bestimmte Methoden und Materialien bleibt der Einrichtung überlassen. Empfehlungen sind nicht immer eindeutig formuliert, was zum Teil an mangelhaften oder fehlenden praktischen Studien liegt. Ihr Gültigkeitsanspruch für alle Arten von Pflegeeinrichtungen macht es zusätzlich schwer, konkrete Empfehlungen auszusprechen.
  • Pflegende tun sich mit den verschiedenen Definitionen des Begriffs Standard schwer, da sie seit einigen Jahren zum Teil identisch, zum Teil ähnlich und zum Teil widersprüchlich verwendet werden.
  • Die Expertenstandards erfüllen (noch) nicht die vom DNQP selbst erhobenen internationalen Standards.
  • Sie sind nicht evidenzbasiertes Wissen, sondern weisen (zum Teil) nur den Weg dorthin.
  • Die Texte stehen nicht kostenlos zur Verfügung. Ihre Auslegung und Schulungsangebote in diesem Zusammenhang werden zum Teil von beteiligten "Experten" kommerziell genutzt.
  • Hilfsmittel zur Einführung der Expertenstandards in die Praxis wurden vom DNQP nicht erstellt.
  • Die Gültigkeitsdauer eines Expertenstandards beträgt ca. 5 Jahre. Wartet eine Einrichtung ab, kann sie gegebenenfalls bereits mit einer Neuauflage starten. Oder die Expertenstandards setzen sich gar nicht durch und der vermiedene Aufwand zu ihrer Einführung rentiert sich doppelt.

All diese Kritikpunkte oder Verbesserungsvorschläge sollen aber kein Argument dafür sein, sich inhaltlich nicht mit den Expertenstandards zu beschäftigen.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • R. Höfert, Th. Meißner: Von Fall zu Fall — Ambulante Pflege im Recht. Rechtsfragen in der ambulanten Pflege von A-Z. Springer, Berlin 2008 ISBN 978-3-540-75598-2
  • G. Meyer, A. Berg et al.: Chancen für die Qualitätsentwicklung nutzen. Kritische Stellungnahme zu den Expertenstandards in der Pflege von Mitgliedern des Fachbereiches Pflege und Gesundheitsförderung des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin. In: Pflegezeitschrift Verlag Kohlhammer 2006; 59:1:34-38
  • M. Moers, D. Schiemann: Expertenstandards in der Pflege - Vorgehensweise des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) und Nutzen für die Praxis. In Pflege & Gesellschaft 9(3) 2004 (PDF)
  • S. Schmidt "Expertenstandards in der Pflege: Eine Gebrauchsanleitung." Springer, Berlin 2012 ISBN 978-3-642-29992-6
  • S. Weiß: "Expertenstandards praktisch". Broschüre, Dr. Josef Raabe Verlag, Berlin 2007

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]